Effizienz statt Verzicht
Ein Meinungsbeitrag von Dr. Carsten Zilg
Nichts habe ich in meiner Jugend mehr gehasst als den Spruch: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Ich war auch mal jung und ungeduldig. Aber was mich heute stört, ist dass die Generationen nicht mehr zueinander finden. Jede Generation hat bisher mit dem Willen, eine bessere Welt zu schaffen gehandelt. Der jetzige Konflikt bremst uns in dem Bestreben, einen anderen Weg zu gehen. Ich bin fest überzeugt: Wenn wir das Thema Nachhaltigkeit mit Angstmache und Weltuntergangsstimmung angehen, verlieren wir die Menschen.
Ich betrachte das Thema wissenschaftlich sehr breit und rede ungern isoliert über Klimaschutz, da so andere Nachhaltigkeitsaspekte unter den Tisch fallen. CO₂ allein zu betrachten, greift zu kurz. Unser Problem ist, dass wir aus Bequemlichkeit viel mehr verbrauchen als notwendig. Wissenschaftlich leben wir in einem nahezu geschlossenen System: außer Sonnenstrahlen kommt nichts hinzu. Die fossilen Brennstoffe, die der Planet in Jahrmillionen geschaffen hat, verbrauchen wir in einem Bruchteil dieser Zeit, daher ist Effizienz im Umgang mit Ressourcen zentral.
Mit neuen Technologien können wir die Entnahmeraten reduzieren, Ressourcen wiederverwenden oder auf nachwachsende Rohstoffe setzen. Holz ist ein Beispiel: Holzbau speichert CO₂, aber ein vollständiger Wechsel zu Holzbauten gefährdet die Waldnachhaltigkeit. Deswegen haben wir den Ressourcenschutz in Bezug auf alternative Bindemittel, Zirkularität und nachwachsende Rohstoffe im Blick. Die gehören genauso dazu wie CO₂-Reduktion, aber auch Biodiversität, Umweltverschmutzung und Wasserverbrauch. All diese Aspekte müssen balanciert werden, damit nicht der Teufel mit Belzebub ausgetrieben wird.
Langlebigkeit ist ebenso entscheidend: Produkte, die lange halten, sind oft die nachhaltigsten. Daher ist es mir wichtig, die Auswirkungen der Produktentwicklung bezüglich alle dieser Aspekte abzuklopfen. Das beste Mittel dafür ist eine vollständige Lebenszyklusanalyse nach anerkannter Methode – ein Thema in das die Sievert momentan viel Energie steckt.
Dr. Carsten Zilg setzt auf Mäßigung
"Nachhaltigkeit ist ein Langstreckenlauf, kein Sprint."
Ein radikaler Wachstumsstopp würde das System destabilisieren. Stattdessen müssen wir umdenken und Anreize schaffen. Es geht nicht darum, scheinbar perfekte Lösungen zu erzwingen, sondern kontinuierlich zu verbessern. Die Wirtschaft ist eng mit sozialen Faktoren verflochten. Geraten Unternehmen unter Druck, leiden die Menschen durch Preissteigerungen oder den Verlust von Arbeitsplätzen. Wenn ich das Wachstum radikal begrenze, bringe ich das System aus dem Gleichgewicht. Auch wir bei Sievert müssen stufenweise agieren. Es bringt nichts, auf einen Schlag Nachhaltigkeitsweltmeister zu sein, wenn die Firma das nicht überlebt. Auch dort ist Realismus wichtig, um zu erkennen, was ein gesundes Maß ist. Gerade unser Land mit all der Technologie, und all' den gut ausgebildeten Menschen hat das Potenzial, die notwendigen Lösungen zu erschaffen und trotzdem den Menschen ein Leben zu bieten, welches sie gerne leben. In der jetzigen wirtschaftlichen Situation ist das natürlich ein Eiertanz:
Sind wir technisch soweit? Können wir das im Moment finanzieren?
Da sage ich immer: Auch wenn es ein Jahr später wird, wir werden es tun. Ich will nicht so verbissen sein, das hat auch was Sportliches, ein bisschen Wettrennen ist schon dabei. Es gibt aber keine Mannschaft, die von heute auf morgen den großen Titel geholt hat. Wenn die EU-Taxonomie grün denkende Firmen bevorzugt, ist das aber definitiv ein Wettbewerbsvorteil.
Demonstrationen sind unser bestes demokratisches Mittel, um aufmerksam zu machen und Wandel herbeizuführen und somit wichtig. Damit ist es aber nicht getan. Mit Fingerzeigen allein erreicht man gar nichts, es müssen auch Taten folgen, sich auf die Straße zu kleben, ist keine Leistung. Es ist wichtig Alternativen anzubieten: Ich habe eine Idee, ich habe es selbst versucht, schaut mal, wäre das nicht was für euch? Wir müssen beim Thema Nachhaltigkeit hochansteckend anstatt abschreckend sein. Konstruktiv statt destruktiv. Wir müssen Türen öffnen und die Kreativität und die Schaffenskraft jedes einzelnen ansprechen, ohne von vornhinein Lösungen auszuschließen.
Jeder von uns kann riesige Schritte machen, allein durch die Art, wie wir leben. Wenn wir alles mit ein bisschen mehr Maß machen, kann das ohne großen Verzicht passieren, dann kann das Spaß machen: Beispielsweise durch bewussteres Einkaufen und ohne Lebensmittelverschwendung können wir Fortschritte erzielen – ohne große Einschnitte, einfach durch bewussteres Handeln. Denn es braucht die Akzeptanz in der Bevölkerung: Ohne diese verlieren wir sie auf dem notwendigen Weg.
"Nachhaltigkeit darf nicht nur mit Verboten und Einschränkungen verbunden sein."
Die Menschen haben Angst, ihr Leben nicht mehr finanzieren zu können oder überfordert zu werden. Meine größte Sorge ist, dass wir die Menschen beim Thema Nachhaltigkeit abhängen, daher will ich will die Aufgabe nicht mit Weltuntergangsstimmung anpacken, sondern mit Spaß und Zuversicht.
Schauen wir uns zum Beispiel ehemalige Kiesgruben an, das sind heute wunderbare Biotope. Auch gezielt nach Nutzungsdauer versenkte Schiffe werden zu Korallenriffen. Oder aus einem Bunker in Hamburg wird eine grüne Oase. Der Mensch ist sehr gut in der Lage, Gutes zu schaffen, auch wenn er zeitweise in die Natur eingreift. Wir denken da nicht weit genug. Ich glaube: Wir sind zu vernagelt.
Es ist unheimlich befriedigend, wenn man vor der Aufgabe steht, mit recyceltem Beton neue Produkte zu entwickeln. Und nach dem ersten Jahr hat man das technisch bewiesen. Dann gibt es das erste Produkt und dann wird das erste Werk umgestellt – in Kaltenkirchen ist auf der Anlage jetzt schon seit über einem Jahr Recyclingmaterial. Wir schauen uns wirklich jedes Material genau an. Sich am Ergebnis zu erfreuen und zu schauen, wo geht noch was – das sind die Geschichten, die mich antreiben, so dass ich sage: Komm, da setzen wir eins drauf.
Autor:
Dr. Carsten Zilg ist Leiter der Forschung & Entwicklung bei Sievert und setzt sich leidenschaftlich für innovative und nachhaltige Lösungen in der Bau- und Baustoffindustrie ein. Für ihn ist Nachhaltigkeit keine starre Vorgabe, sondern eine Aufgabe, die mit Realismus, Kreativität und langfristiger Perspektive gelöst werden muss – Schritt für Schritt.