Pulverturm Seligenstadt

Mit großen von der Fassade herabfallenden Putzstücken machte im Juli 2009 der Seligenstädter Pulverturm auf sich aufmerksam. Der zementhaltige Putz aus den 1960er-Jahren hatte den Witterungs­bedingungen nicht standgehalten. Mit Blick auf den historischen Befund entschieden sich die Verant­wortlichen, den Turm mit einem Putz aus natürlich hydrau­lischem Kalk zu sanieren inklusive des neun Meter hohen Turmhelms, der ebenfalls komplett verputzt ist.

Große Teile der alten Befestigungsanlagen von Seligenstadt wurden im 19. Jahrhundert abgerissen. Umso wichtiger nimmt die Stadt die Aufgabe, die verbleibenden Zeugnisse der Baukunst zu erhalten. Das aktuelle Projekt, der von den Seligenstädtern „Mulaul“ genannte Pulverturm, erscheint seit August 2012 in neuem aber historisch korrektem Gewand. Der circa 24 Meter hohe Turm bildet den nördlichen Abschluss der Altstadt und war früher ein Teil der Stadtmauer.

Bestandsanalyse förderte frühere Sanierungsmaßnahmen zutage


Als dringend erforderlich erwies sich die Sanierung, als sich im Juli 2009 größere Putzflächen von der Turmfassade lösten und sowohl der Turm als auch die umlaufende Treppenanlage abgesperrt werden mussten.

Mit der Bestands- und Schadensanalyse und der Durchführung der Sanierungsarbeiten beauftragte die Stadt das Architekturbüro Huther & Karawassilis Bauplan aus Rödermark. In enger Zusammenarbeit mit dem Bauamt der Stadt, dem Landesamt für Denkmalpflege Wiesbaden und dem Institut für Steinkonservierung aus Mainz, entwickelte Architekt Siegbert Huther den Instandsetzungsplan.

Die Analyse zeigte, dass der Turm im vergangenen Jahrhundert häufiger saniert worden war. 1909 erhielt er eine neue Helmspitze und die bauzeitliche Ziegelbalustrade wurde komplett und in großen Teilen erneuert. In den 1930er-Jahren wurde der Turm erneut saniert und in den 1960er-Jahren noch einmal überputzt und ausgebessert. Auch die Ziegelbalustrade erforderte damals eine Teilerneuerung. 1991 musste die Helmspitze nochmals erneuert werden.

Die Hauptursache für den gegenwärtigen Schaden lag im zementhaltigen Putz aus den 1960er-Jahren. Er fiel nicht nur in großen Stücken ab, sondern konnte an vielen Stellen auch mit der bloßen Hand entfernt werden. Insgesamt wies er eine fast mehlige Konsistenz auf. Als Grundproblem erwies sich dabei die für den Bestand zu hohe Festigkeit des Zementputzes. In Kombination mit dem weicheren Untergrund kam es zu Spannungsrissen. In diese drang vermehrt Feuchtigkeit ein, die der zementgebundene Putz nicht schnell genug wieder abgeben konnte. Der zu hohe Feuchtigkeitsgehalt führte dann zu den Abplatzungen und weiteren Putzschäden.

Im Laufe der Schadensanalyse zeigte sich jedoch auch, dass der marode Putz nicht das einzige Problem war. Die unterhalb des Turmhelms verlaufende Balustrade aus unterschiedlichsten Ziegelsteinen wies ebenfalls schwere Schäden auf. Da sie sich als statisch instabil erwies, musste sie komplett abgerissen werden.

Deutliche Schäden zeigte darüber hinaus das Mauerwerk im Turmhelm unterhalb der Spitze. Siegbert Huther entschied deshalb, an die 70 Zentimeter Mauerwerk abzunehmen und neu aufmauern zu lassen.

Die Bestandsaufnahme legte außerdem ein entscheidendes Merkmal der ursprünglichen Putzausführung offen, aus dem Architekt Huther das weitere Vorgehen ableitete: „Es ist historisch belegt, dass Turm und Turmhelm schon im Mittelalter durchgehend verputzt waren. Deswegen haben wir nach einer Lösung gesucht, mit der sich dieser Zustand möglichst nah am historischen Befund wieder herstellen ließ. Das schloss auch den heute ungewöhnlich anmutenden Verputz des Turmhelms mit ein.“

Kalkmörtel mit mittleren hydraulischen Anteilen gesucht


Aufgabe des durch das Landesamt für Denkmalpflege hinzugezogenen Instituts für Steinkonservierung (IFS) war es, die historische Mörtelrezeptur zu analysieren und die Richtlinie für ein aktuelles Pendant aufzustellen. Entsprechend dem Befund wurde ein Kalkmörtel mit mittleren hydraulischen Anteilen gesucht. Dr. Petra Egloffstein vom IFS empfahl, einen Putz mit natürlich hydraulischem Kalk (NHL) als Bindemittel zu verwenden. Laut Egloffstein bietet NHL den Vorteil „zementfrei und gleichzeitig ein Kalkmörtel mit einer großen Stabilität und Rissfreiheit zu sein. Der NHL verfügt über eine gute Verträglichkeit mit dem historischen Bestand, sowohl thermisch und hygrisch als auch bezogen auf die Festigkeit.“

Architekt Huther folgte der Empfehlung. Im Gegensatz zum Zementmörtel, wie er in den 1960er-Jahren zur Sanierung verwendet wurde, weist der NHL einen deutlich geringeren Eigensalzanteil auf und eignet sich damit wesentlich besser, um Ausblühungen von bauschädlichen Salzen entgegenzuwirken. Zudem verfügt er über eine höhere Kapillarität und ermöglicht so eine bessere Abtrocknung der Feuchtigkeit.

Auf Rat des IFS hin verwendete Huther den NHL in zwei verschiedenen Varianten. Den stärker den Witterungsbedingungen ausgesetzten Turmhelm ließ er mit dem wasserabweisenden NHL-P verputzen, während für den restlichen Turmbereich NHL in nicht wasserabweisender Form zum Einsatz kam. Beide Varianten stellte der Hersteller entsprechend dem Befund farblich auf das Objekt ein. Ein originaler bauzeitlicher Putz, aus dem sich die Farbe ableiten ließ, war zwar nicht erhalten. Doch den Experten der Denkmalpflege gelang es, die Farbigkeit aus dem historischen Mauer- und Fugenmörtel abzuleiten.

Die Putzarbeiten übernahm das durch den Generalunternehmer Hartmann & Sohn GmbH beauftragte Unternehmen Heßler - Kraft. Die Fachhandwerker entfernten den kompletten Altputz und führten den neuen Putz zweilagig mit jeweils 15-20 Millimetern aus. Architekt Huther legte gemeinsam mit den Putzern ein besonderes Augenmerk darauf, die entsprechenden Standzeiten einzuhalten. Diese sind, wie bei Kalkputzen allgemein, auch bei Putzen mit natürlich hydraulischem Kalk länger als üblich. Die Standzeit sollte mindestens einen Tag pro Millimeter Schichtdicke betragen. Diese Geduld mit den höheren Standzeiten ist Grundlage für einen langfristig haltbaren und rissfreien Kalkputz. Eine Druckfestigkeit von circa 2,0 N/mm² erreicht der NHL nach ungefähr 90 Tagen.

Nach historischem Vorbild ließ der Architekt die letzte Putzlage als Rapputz ausführen. Dabei entschieden sich die Verantwortlichen dafür, einzelne Steine aus dem Putz herausschauen zu lassen, sodass die Putzfassade immer wieder durch einzelne rötliche Stellen farblich und strukturell aufgelockert wird. Beim Turmhelm wurde darauf allerdings verzichtet. Um der stärkeren Belastung durch Wettereinflüsse entgegenzuwirken, erhielt der Turm eine komplett durchgehende Verputzung.

Dem Wasser den Weg unter den Putz abschneiden


Am Übergang von der eigentlichen Turmspitze aus Sandstein zum verputzten Turmhelm-Bereich wurde der Putz bei den vergangenen Sanierungen glatt hochgezogen. Infolgedessen konnte allerdings Wasser von der Spitze hinter den Putz laufen, was zu maßgeblichen Schäden im Mauerwerk direkt unter der Spitze führte. Um das in Zukunft zu vermeiden, entschied sich Siegbert Huther, einen Kragen als Abdeckung unterhalb der Spitze einzusetzen. Dieser soll den Weg des Wassers hinter den Putz blockieren.

Die unterhalb der Turmspitze liegende Balustrade erforderte einen wesentlich größeren Aufwand als zunächst angenommen. Letztlich musste sie komplett neu aufgemauert werden. Auf die Konservierung einzelner schadhafter Steine wurde dabei vollständig verzichtet. An den Stellen, an denen alte Steine beschädigt oder zerstört waren, griff man auf Steinmaterial aus der Umgebung des Mains zurück, das dem historisch verwendeten weitgehend glich.

Der Sockel des Turms blieb auf Wunsch der Denkmalbehörde steinsichtig. Hier ließ sich nicht rekonstruieren, wie der Bereich im originalen Zustand ausgestaltet gewesen ist, sodass man auf eine Putzschicht verzichtete. Daher zeigt das neu verfugte Mauerwerk am Sockel nun, was der Kalkputz oben herum verhüllt. Auch die beiden Anschlüsse an die ehemalige Stadtmauer beließ der Architekt bewusst steinsichtig. So bleibt es für den Betrachter auch in Zukunft sichtbar, dass der Turm einst ein wichtiger Teil der städtischen Schutzanlage war.

Das Projekt im Detail

Partner

BauherrStadt Seligenstadt
Planer und ArchitektenHuther & KarawassilisB auplan GmbH, Rödermark,
www.hk-bauplan.de
Ausführendes BauunternehmenHartmann & Sohn GmbH, Künzell-Bachrain,
www.hartmann-sohn.de
PutzarbeitenHeßler - Kraft GmbH & Co. KG, Schlitz II
Baustoffproduzenttubag
Bauzeitraum FassadensanierungSeptember 2011 bis August 2012
Bauen im Bestand | Putzsanierung 2013

Komplett verhüllt

Mit großen von der Fassade herabfallenden Putzstücken machte im Juli 2009 der Seligenstädter Pulverturm auf sich aufmerksam.

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