Sanierung im Sinne der Gotik
Die Sanierung der gotischen Liebfrauenkirche in Worms schreitet voran. Mit Querhaus und Chorumgang auf der Nordseite ist nun ein weiterer Teil abgeschlossen.
Die Sanierung der gotischen Liebfrauenkirche in Worms schreitet voran. Mit Querhaus und Chorumgang auf der Nordseite ist nun ein weiterer Teil abgeschlossen. Vor den Arbeiten stand die Fassade zum Teil steinsichtig und zeigte tiefe Fehlstellen im Mauerwerk - ein Anblick, der nicht unbedingt dem gotischen Idealbild einer Kirche entsprach.
Neue Erkenntnisse zum historischen Bestand leiteten einen Wandel im Erscheinungsbild ein. Die Liebfrauenkirche liegt inmitten von Rebflächen außerhalb des Mauerrings der Wormser Altstadt. Sie zieht weit weniger Besucher an als das Straßburger Münster oder der Kölner Dom. Doch sie ist die einzige große rein gotische Kirche am Rhein, die neben diesen beiden bedeutenden Kathedralen erhalten geblieben ist.
Der Bau des Gotteshauses erstreckte sich über zwei Jahrhunderte und konnte erst um das Jahr 1465 abgeschlossen werden. Als Kind ihrer Zeit folgt die Liebfrauenkirche dem Ideal einer klassischen gotischen Kathedrale. Doch aufgrund eines engen Finanzrahmens wurden viele Formen reduziert, und auf Strebewerk wurde fast völlig verzichtet. So ist sie eine etwas untypische gotische Kirche geworden. Zwar findet sich ein monumentaler Kirchenbau mit dem gesamten Repertoire an Bauteilen eines gotischen Gotteshauses, doch gleichzeitig zeichnet sie sich durch eine ungewöhnliche Vereinfachung der Details bis zum Verzicht aus.
Die Liebfrauenkirche besitzt eine langgestreckte, dreischiffige Basilika mit kreuzförmigem Grundriss und einem Querhaus, das nur geringfügig über die Seitenschiffe hinausragt. Die Gesamtlänge des Innenraums beträgt 78 m.
Die Kriegswirren des 17. Jahrhunderts hinterließen schwere Beschädigungen an der Liebfrauenkirche. Trotz Wiederaufbau führten die Zerstörungen zu dauerhaften statischen Problemen. Altersbedingte Schäden traten hinzu, Feuchtigkeit und Salzeinlagerungen führten zu Erosion und Zerfall des Mauerwerks. In den 1960er- und 1970er- Jahren konnten die statischen Probleme vollständig behoben werden, doch trotz des Erfolgs der Ertüchtigungsmaßnahmen hinterließen die umfangreichen Arbeiten ihre eigenen Probleme. Die Folgen von einem falschen Aufbau der Putzschichten, von zu harten Steinersatzmassen, und Zement als Fugenmaterial traten immer deutlicher zutage.
Neue Instandhaltungsmaßnahmen waren das Gebot der Stunde. In die Wege geleitet wurden diese von der Katholischen Pfarrgemeinde Liebfrauen Worms und dem Bischöflichen Ordinariat in Mainz als Bauherren. Sie beauftragten den Architekten Jürgen Hamm mit seinem Büro HAD Hamm Architektur + Denkmalpflege mit der Planung und Projektleitung der Instandsetzung.
Als dringendste Aufgabe erwies sich zunächst die Sanierung der Westgruppe, die in den Jahren 2005 bis 2010 durchgeführt wurde. Sie umfasste die zwei Haupttürme mit dem Eingangsportal. Dessen Sandsteinmauerwerk erstrahlt nach der abgeschlossenen Sanierung nun in einem rötlichen Farbton.
Nachdem das Vorderantlitz die Kirche wieder repräsentativ gestaltet war, schritt die Restaurierung weiter um das Gebäude herum. Aktuell im Fokus standen nun das Querhaus und der Chorumgang an der Nordseite. Die Arbeiten am Querhaus starteten 2018, die letzten Gerüste am Chorumgang wurden im Frühjahr 2020 abgebaut. Bis auf den Sockelbereich sind die Arbeiten mittlerweile abgeschlossen.
Schäden wie Verwitterungen in den Fugen und teils tiefgreifende Abplatzungen an den Bruchsteinen kennzeichneten diesen Bereich der fortschreitend durchzuführenden Sanierungsmaßnahmen. Diese Schäden lassen sich nicht unbedingt als Spätfolgen einer unsachgemäßen Sanierung in den 1960er- und 1970er- Jahren einordnen. Zwar zeigten die Voruntersuchungen der Restauratoren, dass man bei den zurückliegenden Restaurierungen noch keinen Zugriff auf die mittelalterlichen Rezepturen hatte, doch Architekt Jürgen Hamm schätzt den Erfolg der damaligen Maßnahmen als der Zeit entsprechend ein. Er sieht in den aktuellen Schäden einen zu erwartenden zeitlichen Verfall nach einer Standzeit von rund 50 Jahren.
Damals entschied sich das Instandsetzungsteam dafür, die Fassade im unteren Bereich zu verputzen, während der obere Bereich steinsichtig blieb. Im Gegensatz zu den beiden Türmen und dem Eingangsportal, welche ein harmonisches und aufgeräumtes Fugenbild im Sinne der Gotik widerspiegeln, wirkte die gesamte Fassade hier aber eher unaufgeräumt und untypisch für die gotische Architektur. Während der Bestandsaufnahme hat sich dementsprechend ein anderes Bild herauskristallisiert.
Die Fassade oberhalb des Sockels teilt sich in eine Bruchsteinmauer im unteren Bereich und eine Werksteinmauer im oberen Bereich. Grenze sind die gut sichtbaren horizontalen Verstrebungen, die sich in wechselnder Höhe an der Fassade entlangziehen. In der Werksteinmauer finden sich Quader mit unterschiedlichen Höhen und Fugen in unterschiedlicher Breite. Architekt Jürgen Hamm ist überzeugt, dass ein gotischer Baumeister, einen solchen Mauerwerkaufbau niemals steinsichtig gelassen hätte. Eine glatte, ideale Fassade wäre das Wünschenswerte gewesen.
Ein Indiz für diese These ist, dass statt des hauptsächlich verwendeten Eisenberger Sandsteins an einigen Stellen auch andere Sandsteinarten verbaut wurden. Der Eisenberger Sandstein besitzt einen hohen Eisenanteil und dunkelt durch den Oxidierungsprozess stark nach. Damit hebt er sich farblich deutlich von den übrigen Sandsteinquadern ab. Eine Angleichung an das gotische Idealbild einer Kirche hätte auf dieser Basis eigentlich nur eine darüberliegende Putzhaut schaffen können. Denn das Ziel der gotischen Bauherren war es, »ein Stück Himmel ohne Fehler zu bauen«, so Jürgen Hamm.
Tatsächlich fanden sich an einigen geschützten Stellen Reste eines mittelalterlichen rötlichen Schlämmputzes und Spuren von aufgemalten hellen Scheinfugen. Damit konnte die Schlussfolgerung, dass die Liebfrauenkirche in diesem Bereich ursprünglich ein verputzter Bau gewesen ist, als gesichert gelten. Getreu dem Motto »Folge dem Befund« plante das Team die nächsten Schritte.
Nachdem alle Beteiligten von einem erforderlichen Wandel des Erscheinungsbildes überzeugt waren, stellte sich zunächst die Aufgabe, eine einheitliche Putzfläche aufzubauen, die als Grundlage für einen Schlämmputz dienen konnte.
Bei den Werksteinen im oberen Mauerbereich war dafür ein verhältnismäßig geringer Aufwand erforderlich. Der Eisenberger Sandstein erwies sich als sehr widerstandsfähiges Gestein, und die teilweise eingepflegten anderen Sandsteinarten zeigten zwar etwas mehr Verwitterung, waren insgesamt aber in einem guten Zustand. Die Maßnahmen nach dem Freilegen und Reinigen des Mauerwerks waren nicht so umfangreich wie beim Bruchsteinmauerwerk. Die Fugen wurden mit einem neuen Fugenmörtel ausgebessert und bei dem darauffolgenden Unterputz waren keine großen Steinausbesserungen erforderlich.
Ganz anders beim Bruchsteinmauerwerk im unteren Bereich, hier gab es größere Materialausbrüche, sodass die Fehlstellen vor dem Verputzen ausgebessert werden mussten. Aufgrund der Größe dieser Fehlstellen hätten die ausgebesserten Stellen aber mit üblichen historischen Putzen ein zu hohes Gewicht erreicht, sodass die Gefahr bestanden hätte, dass sie sich durch ihr Eigengewicht wieder lösen.
Stattdessen wurde das zurückgewitterte Bruchsteinmauerwerk mit einem FL-Kalk Leichtputz wieder auf eine Ebene gebracht. Er wurde auf der gesamten Fläche als Unterputz verwendet und an den Fehlstellen je nach Tiefe in Dicken zwischen 2 und 6 cm aufgetragen.
Gegenüber den häufig in der Denkmalpflege eingesetzten NHL-Produkten auf Basis von natürlich hydraulischem Kalk ließ sich so eine gesteigerte Festigkeit auch bei größeren Schichtdicken erzielen. Dieser FL-Kalk Leichtputz FLP-L wird ausschließlich mit natürlichen Leichtzuschlägen hergestellt und kann gut mit den vorhandenen NHL-Putzen kombiniert werden.
Mit den Arbeiten am Mauerwerk, dem Verputzen und dem folgenden Anstrich wurden die Steinrestaurierung Bauer-Bornemann GmbH aus Bamberg und der Stuckateurmeister-Betrieb Edmund Scheidel aus Viernheim beauftragt. Die Arbeiten begannen mit dem Ausräumen der alten Fugen und einem gründlichen Säubern der Oberflächen. Im Anschluss wurde mit einem NHL Fugenmörtel neu verfugt. Im nächsten Schritt erfolgte die Füllung der Fehlstellen im Bruchsteinmauerwerk mit dem FL-Kalk Leichtputz sowie eine Unterputzschicht aus demselben Material.
Der hier verwendete FL-Kalk Leichtputz ist ein relativ neues Produkt. Die formulierten Kalke (FL) unterscheiden sich in ihren Eigenschaften sowohl von den natürlich hydraulischen Kalken (NHL) als auch von den gemischten hydraulischen Kalken (HL). Sie zeichnen sich durch einen deutlich höheren frei verfügbaren Kalkgehalt (Ca(OH)2) aus. Für die verschiedenen Mischungen der FL-Kalke (FL 2, FL 3,5, FL 5) können unterschiedlichste Bestandteile eingesetzt werden. So können Weißkalke, natürliche hydraulische Kalke mit puzzolanischen Zusätzen (z. B. Trass, Ziegelmehl, Stoffe mit reaktiver Kieselsäure) oder latent hydraulischen Zusätzen (z. B. Hochofenschlacken) und Zementen gemischt werden. Die Ausgangsstoffe und Mengenanteile müssen auf dem Bindemittelsack deutlich gekennzeichnet werden.
Die formulierten Kalke erlauben es, für die Instandsetzung von historischen Bauwerken zementfreie Mörtel und Putze herzustellen, die sich mit den Bestandsmörteln sehr gut vertragen und deren Eigenschaften sich dem Befund sehr flexibel anpassen lassen.
Der an der Liebfrauenkirche eingesetzte FL-Kalk Leichtputz ist ein komplett zementfreier Putz, der speziell für die Denkmalpflege hergestellt wird. Das gemischte Kalkprodukt setzt sich aus Weißkalk (CL80), Luftkalk, Metapor (einem Abfallprodukt aus der Blähglasherstellung) sowie Trass zusammen. Als Leichtzuschlag dienen Perlite und Bims die sich durch die Festigkeit des FL-Kalks gut verbinden. Der FL-Kalk-Leichtputz lässt sich ganz normal verarbeiten. Durch den hohen Kalkanteil ist jedoch, ähnlich wie beim NHL, auf eine ausreichende Abbindezeit vor dem Frosteintritt zu achten.
Den Ausschlag für den Einsatz an den Bruchsteinbereichen von Liebfrauen gab vor allem die Möglichkeit, auf Basis der formulierten Kalke einen Leichtputz mit einer ausreichenden Festigkeit herzustellen. Auch bei den teilweise erforderlichen hohen Schichtdicken reicht die Festigkeit aus, um die Mörtelbereiche in den tiefen Fehlstellen sicher am Platz zu halten.
Auf den FL-Kalk Leichtputz folgte ein Oberputz auf NHL-Basis in einer Schichtdicke von rund 15 mm. Alle Putzschichten wurden von Hand angeworfen.
Nachdem die Schichten aus Unter- und Oberputz durchgetrocknet waren, folgte der abschließende Schlämmputz, für den Natursteinschlämme NHL-NS eingesetzt wurde. Mit dem Aufbringen der dritten Schlämmlage entstand eine durchgehende Schicht, die die Fugen komplett verdeckte. Die einzelnen Lagen waren zwischen 1 und 1,5 mm dick.
Die verschiedenen Putze samt Schlämmputz wurden so rezeptiert, dass sie nicht wasserabweisend reagieren. Architekt Jürgen Hamm hat die Erfahrung gemacht, dass dies gerade, wenn doch einmal kleine Risse im Putz entstehen, von Vorteil ist. Das Wasser sammelt sich dann nicht an diesen Rissen, sondern es kann über die ganze Fläche wieder abtrocknen. Damit verringert sich die Belastung an den Rissstellen.
Ihr endgültiges Aussehen bekam die Schlämme durch eine Farblasur, die ebenfalls in mehreren Lagen aufgetragen wurde, zunächst hell, dann zwei- bis dreimal deutlich rötlicher mit geringerem Weißanteil. Ziel war eine halbtransparente aber nicht unruhig wirkende Farbgebung. Der Aufbau von hell zu dunkel erzeugt eine Tiefenwirkung der Farbe und zeigt das typische Changieren, dass sonst von Kalkanstrichen bekannt ist. Für die Liebfrauenkirche kam ein mineralisches Farbsystem mit einer Silikatfarbe zum Einsatz, das speziell für den nicht wasserabweisenden Untergrund mit einer etwas höheren Wasseraufnahme rezeptiert wurde. Putz und Farbe sind so in der Lage, aufeinander abgestimmt zu reagieren.
Die Fugeneinteilung erfolgte dann mit einem Fugenstrich, der auf die Lasur aufgebracht wurde. Hier kam ein beiger Farbton zur Anwendung, für den viel mit Duktus, Pinsel und Breite getestet wurde..
Alle Fugen in diesem Bereich von Querhaus und Chorumgang wurden ausschließlich gemalt und nicht eingeritzt, dabei richten sich die Fugen nach einem 2:1-Raster (60:30 cm). Das aufgemalte Fugenbild folgt einer idealtypischen Aufteilung und nicht dem tatsächlichen Fugenverlauf. Hierfür wurde ein Fugenplan erstellt, der sich an bestimmten Gebäudemerkmalen orientierte. Das Raster wurde so angelegt, dass die Fugen in Bezug zu den konstruktiven Merkmalen wie Fenstern, Türen oder den Strebungen möglichst symmetrisch erscheinen. Als Ergebnis variiert die Rastergröße leicht, wenn dies dem Gesamtbild zugutekommt.
Die Fugen wurden zunächst mit einem weißen Griffel angerissen, um zu verhindern, dass sich später andere Farbanteile in den Anstrich mischen. Dann wurden die Linien mit der Hand nachgezogen. Genutzt wurde dafür ein sogenannter Schwertschlepper. Dabei handelt es sich um einen extrem langhaarigen Pinsel. Er ist flach und einseitig geschrägt, mit kurzem Stiel, und speziell zum Ziehen langer, gleichmäßiger Linien vorgesehen. Die Fugen sollten möglichst in einem Strich über die gesamte Länge der jeweiligen Wandabschnitte durchgezogen werden. Eine Aufgabe, die den Fachhandwerkern einiges Geschick abverlangte. Die ausführende Firma verfügten allerdings über ausgebildete Restauratoren, die mit dieser Aufgabe betreut wurden.
Auch wenn die Sanierung noch lange nicht abgeschlossen ist, ist Architekt Jürgen Hamm mit dem bisher Erreichten zufrieden. Sein Fazit:
»In der Denkmalpflege kann man mit gewissen Routinen arbeiten, aber diese muss man permanent hinterfragen. Die Arbeit muss sich immer nach dem Befund richten. Entscheidende Grundlage ist eine bautechnische und historische Anamnese und nicht ein Bild im Kopf, dass man sich von dem ursprünglichen Gebäude macht.«
Querhaus und Chorumgang auf der Nordseite erstrahlen nun in einem tiefen Rotton mit hellem Fugenstrich, denen man den darunter liegenden komplexen Putzaufbau nicht mehr anzusehen. Ein klares Erscheinungsbild ganz im Sinne der Gotik, das erst beim Näherkommen enthüllt, dass die steinsichtig erscheinende Fassade tatsächlich ein Schlämmputz ist.
Bauherren | Katholische Pfarrgemeind Liebfrauen Worms, Bischöfliches Ordinariat Mainz |
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Architekt | Jürgen Hamm, HAD Hamm Architektur und Denkmalpflege, Worms, www.hamm-architektur-denkmalpflege.de |
Natursteinarbeiten | Steinrestaurierung Bauer-Bornemann GmbH, Bamberg, www.bauer-bornemann.de |
Putzer-und Malerarbeiten | Edmund Scheidel – Stuckateurmeister, Viernheim, www.stuckateur-scheidel.de |
Restauratoren | Diana Ecker, M.A., Konservatorin der Abteilung Kirchliche Denkmalpflege im Bischöflichen Ordinariat Mainz Dipl.-Restaurator Dr. Thomas Lutgen, Trier Prof. Dr. Matthias Untermann, Uni Heidelberg, Professur für Mittelalterliche Kunstgeschichte/Bauforschung |
Eingesetzte Mörtel und Putze | tubag Historischer Fugenmörtel NHL-F, tubag FL-Kalk-Leichtputz FLP-L, tubag Historischer Kalkputz NHL-P, tubag Natursteinschlämme NHL-NS |
Farben | Caparol-Silikatfarbe |
Projektzeitraum | 2019 - 2020 |
Die Sanierung der gotischen Liebfrauenkirche in Worms schreitet voran. Mit Querhaus und Chorumgang auf der Nordseite ist nun ein weiterer Teil abgeschlossen.